Bewege

Berlin-Neukölln war schon immer ein raues Pflaster und das nicht nur wegen der grauen holperigen Pflastersteinstraßen. Nun ist Neukölln quasi »in« geworden und zieht permanent neue Leute an. Sie bringen Ideen mit, sind couragiert, schaffen Kunstprojekte und eröffnen Läden, Cafés, Galerien usw. Dadurch verändert sich das Straßenbild, die Vielfalt wird zusehends bunter.

Gleichzeitig engagieren sich immer mehr Menschen und versuchen mit Einsatz und Kreativität die sozialen Probleme zu lösen. Das ist nicht einfach und erfordert viel Courage und Durchhaltewillen, zumal der Ausgang oft ungewiss ist.

Im Kirchraum der Herrnhuter Brüdergemeine bilden graue Pflastersteine aus Papier einen Weg im Mittelgang und die Stufen hinauf. Gegen Ende des Wegs sind in 20 Steinen Lautsprecher eingearbeitet, aus denen auf Knopfdruck jeweils eine Originalstimme von dem Besitzer einer Galerie, eines Cafés, eines Kunstprojekts oder einer sozialen Einrichtung zu hören ist. Zudem sind erst vereinzelt, dann vermehrt farbige Erkennungsmerkmale zu sehen. Sie leuchten, bilden am Ende ein buntes Mosaik und zeigen, wie mit Kreativität, Willen und Mut aus einem grauen Stadtteil ein bunter wird.


MOVE

Berlin-Neukölln was always a rough neighbourhood and not only because of the state of the streets. Now it’s “in” and attracting new people all the time. They bring their ideas, they’re bold, they create art projects and open stores, cafés, galleries, and the like, transforming the streetscape: diversity is becoming more and more diverse.

At the same time, more and more people are tackling social problems with commitment and creativity. This is not easy and calls for a great deal of courage and perseverance with uncertain outcome.

In the Moravian Church, grey paving stones made of paper form a path along the central aisle and up the stairs. Towards the end, loudspeakers have been built into 20 of these stones: the press of a button gives voice to people who run a gallery, a café, an art project, a social institution. Also to be seen are a clustering number of characteristic features, forming a colourful concluding mosaic, showing how, with creativity, determination, and courage, a grey district takes on colour and diversity.


Stimmen/voices
(Auszüge, excerpts)

„Mein Name ist Elisa. Ich arbeite hier in diesem Atelier seit mehrere Jahre und ich habe letztes Jahr mit meiner Freundin Camilla den Laden aufgemacht. Vorher war nur eine ehemalige Nähbude und wenn ich Nähbude meine, dann mein ich wirklich Nähbude. Das war nur ein Raum für eine gemeinsame Schneiderei und alle anderen sind weggegangen und wir sind geblieben.“ Und dann haben wir alles mit der Zeit renoviert, …“
„Ich liebe meine Arbeit und ich habe viel mit Menschen zu tun und ich habe gerne mit Menschen zu tun, es ist aber auch so, dass ich immer meine Berufung darin gesehen habe, dass weniger mehr ist, dass es um Inhalte geht, ich bin kein Preisverkäufer, ich bin ein Inhaltsverkäufer. Ich hab hier dieses Geschäft mit sehr solider Miete erwerben können und so ist der Grund, warum ich hergekommen bin.“
„Ich bin seit ’89 hier, ich hab diesen Laden hier mehr oder minder damals aufgebaut, das war mehr so Hardrockcafé, ich hab daraus ein modernes Café gemacht. Ja und nun mittlerweile, wir haben ja gesehen, dass Neukölln sich total verändert hat und ich muss mich ein bisschen anpassen und sehen, ob es dann eben besser wird und dass man belohnt wird, weil die Mieten sind dann höher geworden, das ist natürlich für uns hier, Leute wie ich 25 Jahre hier, ein richtiger Schlag auf den Kopf, …“

Als ich angefangen habe, gab es 16 Tattoostudios, wir haben jetzt 450. Ich kann davon leben seit achtzehn Jahren und mach halt sechs Tage die Woche nichts anderes. Ich könnte auch in jedem anderen Bezirk arbeiten, bloß ich hab halt Neukölln vorgezogen, weil das einfach in Westberlin der coolste Platz war, also dieses ganze Gemisch von Ausländern und Alteingessessenen, Arbeiter, Familien war für mich det wat halt jezählt hat.
„Na, es hat ein Laden nach dem anderen eröffnet, in der Hauptsache natürlich Cafés und Kneipen und die machen ja auch den meisten Umsatz, mit Alkohol im Prinzip. Die Mieten steigen stetig, es heißt jetzt immer, die Gegend ist begehrt, ja das ist ja auch ein bisschen gefährlich das Ganze.“
„Wir sind viele kleine Läden hier in Neukölln die letzte Zeit gezogen, und machen hier ein Geschäft mitten in Neukölln. Ja wir brauchen Courage. Aber ich denke, mehr Courage muß man haben als Inhaber eine kleine Geschäft nach vorne schieben gegen diese großen Immobilienfirmen, wo jedes Jahr die Miete machen sehr hoch, und wir können nicht mehr halten das. Meine Siebdruckerei ist seit vier Jahren hier in der Richardstraße.“
„Wir sind so ein kleines gemütliches Café, wo wir halt so verschiedene Sorten von Essen anbieten, Kuchen, Limonaden, halt selbst gemachte Sachen. Wir sind erst seit vier Monaten hier, es läuft langsam, langsam an, die Leute freuen sich, dass endlich wieder etwas Buntes in Neukölln passiert, mal was anderes, mal was schrilles, etwas leicht ausgefallenes, was einfach nicht zur Straße passt.“
Angefangen habe ich vor 25 Jahren hier in der Weserstraße. Es war natürlich Horror vor 25 Jahren, da wir angefangen haben und uns spezialisiert haben auf Travestie oder – überhaupt auf Unterhaltung. Jetzt die letzten paar Jahre haben wir das mit Freude zur Kenntnis genommen, dass der ganze Kiez aufwärts geht, also, es kommen andere Leute rein, es sind viel Ausländer, also Amerikaner, Franzosen, unser Publikum sind Dänen, Holländer, also was hier so rumrennt und ich finde das sehr schön.“


BEWEGE
MOVE

Raum Installation, room installation
2014

Material: Handgeformte Papiersteine, Lautsprecher, Interviews, paper paving stones, speakers, interviews

Fotos: Hadmut Bittiger

Weitere Informationen zu BEWEGE siehe unter › AUSSTELLUNGEN